Jan Mittelsdorf streift sich zur WM das deutsche Trikot über

Presse, NRZ 13.01.2020

Die große Vorfreude auf die Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten hat sich beim Trainer der HSG Wesel aber noch nicht eingestellt.

Wegen der Corona-Pandemie am besten komplett absagen? Mit oder ohne Publikum in den Hallen? Dazu frühzeitige Absagen von deutschen Nationalspielern und am Ende noch das corona-bedingte Aus für zwei ganze Nationalteams, die USA und Tschechien. Die heute beginnende Handball-Weltmeisterschaft der Männer in Ägypten hat schon in den letzten Wochen für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Getrübt ist die Freude auf das Turnier auch bei Jan Mittelsdorf, dem Trainer des Verbandsligisten HSG Wesel.

Am Mittwoch beginnt die Handball-WM in Ägypten, am Freitag spielt die deutsche Mannschaft ihr erstes Vorrundenmatch gegen Uruguay. Wie groß ist die Vorfreude auf diese Veranstaltung?

Tatsächlich ist die Vorfreude diesmal noch nicht sehr groß. Die WM ist ein Thema, dass aktuell mit den Ereignissen in Deutschland und in der Welt nicht so richtig in Einklang gebracht werden kann. Bislang nehme ich diese Weltmeisterschaft nur am Rande wahr. Ich kann das alles nicht so zelebrieren wie sonst, weil es keine Verabredungen zum Handballschauen geben wird, kein Rudelgucken und all die Dinge, die sonst zu einer solchen Veranstaltung dazu gehören. Diesmal wird das wohl eher eine einsame Fernsehshow. Auch insgesamt glaube ich, wird diese WM nicht in der Form Aufmerksamkeit bekommen wie normalerweise üblich.

Auch aus Sicht der deutschen Mannschaft gibt es einige Fragezeichen, nachdem etliche Spieler verletzt absagen mussten und weitere Leistungsträger mit dem Verweis auf die Pandemie lieber daheim bleiben wollten. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, das hat eine Nachvollziehbarkeit für mich. Mit diesen Dingen müssen wir in unseren Ligen täglich umgehen. Unsere Hallen sind gesperrt, wir dürfen – mit Ausnahme der Profis in der 1. und 2. Liga – nicht spielen. Ich habe viel Verständnis dafür, wenn Spieler sagen, sie wollen sich nicht vier Wochen und mehr von ihren Familien verabschieden, um sich den Quarantänebestimmungen zu unterwerfen und in die sogenannte Full bubble zu gehen.

Deutschlands Torhüter Andreas Wolff hat einige seiner Mitspieler für die Absagen kritisiert. Er sagt, das sei ein deutsches Phänomen.

Nun ja, wir leben in Deutschland, und da kann nun einmal jeder selbst entscheiden, ob er für sein Land auflaufen will oder eben nicht. All diejenigen, die abgesagt haben, werden sicher lange nachgedacht haben und sich der Konsequenzen bewusst sein. Ich kann nur sagen, dass ich durchaus Verständnis für die Sichtweise der Daheimgebliebenen habe.

Finden sie es überhaupt gut, dass diese WM gespielt wird?

Ich finde es merkwürdig, weil hierzulande so vieles abgesagt wird, in Ägypten aber diese WM stattfinden darf. Die ARD wird niemanden zu dieser WM entsenden, das ZDF reist mit einem sehr kleinen Team an. Und das übliche Anfeuern der deutschen Mannschaft wird ja auch nicht stattfinden. Ich hoffe nun aber, dass alle gesund wieder heimkehren werden.

Aber anschauen werden Sie sich die Spiele doch sicher, oder?

Ganz sicher, und zwar gemeinsam mit meiner Familie. Meine Frau ist ebenfalls total handballbegeistert, wir werden uns zu den Spielen das deutsche Trikot überziehen und uns vor den Fernseher hocken. Aber es wird sicher ganz anders sein als üblich. Man hat das komische Gefühl, dass man für etwas bestraft wird, was man gar nicht begangen hat. Eine WM sollte so nicht sein.

Als Trainer einer Handball-Mannschaft in der Verbandsliga können Sie sich aber zumindest ein wenig Inspiration holen.

In diesen Momenten bin ich in erster Linie Fan. Erst nach dem Spiel kann man sicher die eine oder andere Szene noch einmal analysieren. Aber viel abschauen können wir uns sicher nicht. Dafür ist der Unterschied zwischen Verbandsliga und Nationalmannschaft viel zu gewaltig. Es sind eher Kleinigkeiten, wie beispielsweise der Bundestrainer seine Auszeiten setzt, was er dann sagt, und solche Dinge.

Nach den Absagen fehlt der deutschen Mannschaft der Kieler Block vor allem in der zentralen Defensive. Kann die Mannschaft das kompensieren?

Das geht sicher nur bedingt. Dem neuen Innenblock muss der Bundestrainer einfach noch Zeit geben. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich hat das gut funktioniert, und auch in den ersten beiden Gruppenspielen gegen Uruguay und gegen die Kapverden kann man sich noch Spielpraxis holen. Aber dann kommen sicher ganz andere Kaliber.

Was ist am Ende für die DHB-Auswahl möglich?

Ich denke, dass es am Ende das Viertel- oder das Halbfinale werden wird. Viel wird dabei auch von den deutschen Keepern abhängen. Kommen sie gut ins Turnier, können sie spielentscheidend dazu beitragen, dass die WM in die richtige Richtung läuft.