Die sportliche Wandlung der Sanders-Brüder
Presse, RP 24.12.2021
Der frühere Hochspringer Torsten, Bronzemedaillen-Gewinner bei der Deutschen Meisterschaft, und Ex-Hürdensprinter Stephan widmen sich nun ausschließlich dem Handball bei der HSG Wesel und dem Fußball beim PSV Wesel.VON ARNULF BECKMANN
WESEL | Nein, familiär vorbelastet seien sie nicht, sagen die beiden Brüder und lachen. Die Mutter spielte hobbymäßig Volleyball, der Vater war Kegler, da erklärt sich das große Talent des Nachwuchses nicht. Dabei ragen die Leistungen von Stephan und Torsten Sanders – und auch die ihrer Schwester Melanie – weit über das hinaus, was man ambitioniertes Amateurtum nennt. Alle drei waren Leichtathleten und gehörten in ihren jeweiligen Sportarten zu den Besten des Landes. „Unser Vater ist sportbegeistert, aber weniger sportbegabt”, sagt Torsten. „Diese Gene reklamiert unser Onkel Klaus Schäpers für sich, der einst ein großer Dreispringer in der Leichtathletik-Abteilung des Weseler Turnvereins war.”
Wer auch immer für die genetische Veranlagung verantwortlich ist, Unterstützung jedenfalls gab und gibt es haufenweise seitens der gesamten Familie. Stephan Sanders (29) spielt derzeit Fußball beim Landesligisten PSV Wesel, Torsten Sanders (27) Handball bei der HSG Wesel. Doch anders als sein Bruder Stephan, der mit dem Kicken als kleines Kind begann und den Weseler Fußballern über all die Jahre trotz räumlicher Distanz die Treue gehalten hat und mindestens an den Wochenenden für sein Team bereitstand und pendelte, kehrte Torsten Sanders, der in seiner Jugend zum Handball kam, erst vor wenigen Monaten zur HSG zurück. Dazwischen lag fast ein ganzes Jahrzehnt, in dem die Sanders-Brüder andere sportliche Schwerpunkte setzten und dabei durchaus erfolgreich waren.
Leichtathletik haben beide Brüder betrieben, aber in unterschiedlichen Disziplinen. Stephan versuchte sich über die 110 Meter Meter, Torsten und seine Schwester Melanie waren im Hochsprung aktiv. Während Melanie das Thema längst drangegeben hat und ihrem Privatleben den Vorrang einräumt, übersprang Torsten noch vor zwei Jahren die sagenhafte Höhe von 2,23 Meter. Da ist die Weltspitze nicht mehr weit, oder? Torsten lacht. „Die beginnt erst ab 2,30 Meter”, sagt der Mann, der im Trikot von Bayer Leverkusen Jahr für Jahr an den Deutschen Meisterschaften teilnahm. Und genau für diese sieben Zentimeter – und eventuell noch ein wenig mehr – ist der Aufwand kaum noch zu bewältigen. „Da bin ich an meine Grenze gestoßen”, sagt er.
Immerhin ist der Hochspringer gleich mehrfach medaillendekoriert, vor allem in der Jugend. Rund fünf Jahre gehörte er in seiner Disziplin zu den Top Five in Deutschland. Später dann errang er etliche undankbare vierte Plätze bei den nationalen Titelkämpfen, bis es 2019 mit eben jener Höhe zu Bronze reichte. „In der Jugend habe ich sogar an zwei Europameisterschaften teilgenommen, bei den Senioren bin ich in der Qualifikation gescheitert.”
So erfolgreich war Stephan nicht – zumindest nicht ganz. „Für die Top Fünf in Deutschland hat es bei mir nicht gereicht”, sagt er. Bei den Deutschen Meisterschaften sei es für ihn mit einer Bestzeit von 14,38 Sekunden stets darum gegangen, sich für den Endlauf zu qualifizieren und damit zu den besten Acht zu gehören. Nordrhein-Meister sei er geworden, aber das solle man auf keinen Fall überschätzen. „Manchmal treten da nur vier, fünf Sportler an und dann bist du plötzlich Erster”, sagt er. Sein größter Erfolg? „Die Bronzemedaille bei den U-23-Meisterschaften 2014, die übrigens in Wesel stattfanden. Aber um weiter vorne zu landen, muss dann schon eine 13 vor dem Komma stehen.”
Und weil das nicht so war, setzte Stephan vor zwei Jahren den Schwerpunkt ausschließlich auf Fußball. Seit 1997 – da war er gerade mal fünf Jahre alt – spielt er beim PSV Wesel und hat dort sämtliche Positionen durch. Von Rechtsaußen übers Mittelfeld ist er mittlerweile in der Innenverteidigung gelandet und war zwischenzeitlich sogar zwei Jahre Kapitän, obwohl er in Köln und Leverkusen lebte, studierte und trainierte. Das ist er heute nicht mehr, aber zum Stamm des Teams darf er sich immer noch zählen.
Stammspieler, das ist eine Position, die musste sich Torsten Sanders nach seiner Rückkehr erst neu erkämpfen. Der 27-Jährige musste sich früh entscheiden zwischen Springen und Werfen, weil der Aufwand einfach zu groß war. Viermal in der Woche zum Hochsprungtraining, drei Mal in der Woche Handball – da blieb keine Freizeit mehr übrig. Er gab dann der Leichtathletik den Vorrang. Und zum Fußballer hätte es nach eigener Einschätzung ohnehin nicht gereicht. „Da war ich nahezu talentfrei”, sagt er.
Im Sommer 2020 setzte er nach neunjähriger Hochsprungkarriere seinen längst gereiften Entschluss um, mit dem Leistungssport aufzuhören. „Wenn du nicht mehr an deine alten Leistungen herankommst, zerrt eine Einzelsportart schon sehr”, sagt er. „Jeden Tag trainieren, zumeist unter Schmerzen, macht dann nicht mehr wirklich Spaß.” Und nachdem das Thema Hochsprung erledigt und damit auch die Zeit in Leverkusen vorüber war, erinnerte sich Torsten Sanders an wenige Einsätze im ersten Seniorenjahr in der Verbandsliga vor fast zehn Jahren. „Als Leichtathlet lebst du in einer Blase, weil du Individualsportler bist. Das ist bei den Handballern ganz anders“, sagt er.
Also sprach er bei der HSG Wesel vor – und wurde mit offenen Armen aufgenommen. „Ich hatte riesige Lust auf Handball.“ Allerdings musste er sich zunächst noch in Geduld fassen. Der Lockdown und der damit einhergehende Saisonabbruch verhinderten einen raschen Einstieg bei der HSG und hätten ihn beinahe zum Triathleten gemacht. Ein Anruf von Christian Weber, Teammanager der ersten Mannschaft, überzeugte ihn dann. Der Linkshänder fand trotz neunjähriger Abstinenz rasch den Einstieg. Und auch, wenn der sportliche Erfolg der HSG sich erst allmählich einstellt, fühlt er sich sichtlich wohl. „Ich habe mich wieder sehr gut integriert, auch wenn ich weiß, dass ich noch ein paar Schritte vor mir habe”, sagt er. „Ich muss mich aber an die Herangehensweise im Amateursport noch ein wenig gewöhnen. Ich darf da nicht übertreiben.”
Während der handballernde Sanders mit seiner Mannschaft um den Klassenverbleib kämpft, hinkt der Fußballer der Familie den ambitionierteren Zielen derzeit hinterher. Der PSV wollte vor Saisonbeginn um den Aufstieg mitspielen, ist zur Winterpause aber kaum einholbare 16 Punkte von Platz eins entfernt. „Was die Qualität betrifft, sind wir nicht schlechter als Spitzenreiter Sonsbeck”, sagt Stephan Sanders. „Aber wir schlagen uns häufig selbst.”
Nicht selten ist dann Bruder Torsten Augenzeuge, zumindest bei den Heimspielen, und wenn der Handball ihm die Gelegenheit dazu gibt. Den umgekehrten Fall hat es aber noch nicht gegeben. „Früher war ich oft bei den Handballern”, sagt Stephan. „Aber wenn wir um 15 Uhr spielen, habe ich keine Chance, am Sonntag zur HSG zu gehen.”
Gemeinsam spielen beide mittlerweile Tennis beim TC Brünen, aus Spaß an der Freude. Das gehört zur Altersplanung der Sanders-Brüder. „Bis 35 Fußball, bis 50 Tennis, und danach eventuell zum Golf”, sagt Stephan, der die Dinge – wie auch anders – ambitioniert angeht. „Wir wollen im nächsten Jahr aufsteigen.”
Und wenn beide einmal nicht aktiv sind? Dann widmen sich die Schalke-Fans ihrem Klub, fahren ins Stadion oder schauen gemeinsam das Spiel im Fernsehen. „Aber im Grunde genommen bin ich ein Alles-Gucker”, sagt Torsten. „Mit Ausnahme von Wintersport.”